Was könnte heute das gemeinsame Zeugnis der Mennoniten als Friedenskirche sein? Diese und weitere Fragen standen im Zentrum des diesjährigen europäischen Treffens von mennonitischen Theologiestudierenden Ende Mai auf dem Bienenberg. Mit dabei waren auch Rahel Brechbühl, Pastorin mit Schwerpunkt Jugend bei der Alttäufergemeinde Emmental, und Raphaël Burkhalter, Jugendpastor bei der Mennonitischen Jugendkommission der Schweiz.
«Die Ambivalenz des täuferisch-mennonitischen Erbes und der Aufruf zum Zeugnis als Friedenskirche im öffentlichen Raum heute» lautete auf Deutsch übersetzt der Titel des europäischen Treffens der mennonitischen Theologiestudierenden. Das ist ziemlich sperrig. Worum ging es am Treffen genau?
Rahel: Wir haben uns gefragt, was es in der heutigen Zeit bedeutet, im biblischen Sinne Zeuginnen und Zeugen zu sein und was mennonitische Kirchen gerade als Friedenskirche im Moment bezeugen und was sie bezeugen sollten.
Raphaël: Das Treffen konzentrierte sich dabei auf die unterschiedlichen Auslegungen und Anwendungen des täuferischen Erbes in den europäischen Mennonitengemeinden. Von der Schweiz bis Litauen, über Deutschland, Frankreich und die Niederlande, lesen wir die Bergpredigt unterschiedlich und setzen sie auf verschiedene Weise in die Praxis um. So gesehen spiegelt die Komplexität des Titels den Einfallsreichtum wider, der nötig ist, um eine gemeinsame Basis zu finden.
Warum ist das Thema wichtig?
Raphaël: Im letzten Jahr war «authentisch» das Wort des Jahres. Es würde mich nicht überraschen, wenn 2024 «Ambivalenz» das Rennen machen würde. Der Begriff beschreibt die bunte und komplexe Vielfalt, mit der verschiedene Menschen an ein gemeinsames Interessengebiet herangehen. Wenn wir begreifen, wie unterschiedlich Mennonit:innen die Gesellschaft und die Bibel verstehen, stärkt das unsere Kirche. Denn wenn wir unsere Stärken und Schwächen kennen, verkörpern wir die Werte des Reiches Jesu. Den Balken in unseren eigenen Augen zu erkennen, bevor wir uns mit dem Fleck in den Augen unseres Nächsten befassen, verhindert, dass wir stolz werden, und ermöglicht ein friedliches Zeugnis für andere ausserhalb unserer Kirche.
Rahel: Meiner Meinung nach ist es wichtig, uns zu überlegen, wofür wir eintreten und wem wir eine Stimme geben wollen und kritisch zu fragen, ob wir diesem Auftrag im Moment gerecht werden.
Es gab verschiedene spannende Themenblöcke, etwa «Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt» oder «Zeugnis und Säkularisierung». Welcher Block hat bei dir am meisten ausgelöst?
Rahel: Marius van Hoogstraatens Vortrag über Separation und Engagement hat bei mir sehr spannende Fragen über mennonitische Theologie ausgelöst: Führt unsere Neigung, uns theologisch abzusondern, auch dazu, dass wir uns zu sehr aus dem Weltgeschehen zurückhalten und Möglichkeiten zum «Zeugen sein» verpassen? Wie beeinflusst unser Weltbild unser Zeugnis? Auch die Vorträge von Marcus Weiand über kollektives Trauma und jener von Josua Searl über Unterstützungsprojekte in der Ukraine haben spannende und reale Aspekte des Themas beleuchtet.
Raphaël: Mir ist auch das Seminar von Marcus Weiand besonders in Erinnerung geblieben. Er zeigte auf, wie oftmals ein Trauma reaktiviert wird, wenn man vergangene Ereignisse wiederaufgreift. Das führt dann zu einem Kreislauf von Viktimisierung und Verfolgung und zieht Gewalt, Ungerechtigkeit und Angst nach sich. Dies kann sich sowohl in täuferischen Kirchen als auch anderswo abspielen. Marcus zeigte auf, wie man ein historisches Trauma anerkennen und bearbeiten kann, um Versöhnung zu ermöglichen und letztlich starke Gemeinschaften aufzubauen.

Rahel Brechbühl ist bei der Alttäufergemeinde Emmental als Pastorin mit Schwerpunkt Jugend angestellt.
Im Abschlussblock ging es um die Fragen, was wir als Friedenskirche genau wem bezeugen sollen. Was waren da die wichtigsten Erkenntnisse?
Raphaël: Was mir bei der letzten Sitzung im Gedächtnis geblieben ist, ist der Gedanke, dass die Täuferbewegung als Friedenskirche nicht aus einer Position der Macht oder Kontrolle heraus spricht, sondern aus einer Position des Zeugnisses. Wir bezeugen die Herrschaft Christi, der über allen irdischen Mächten steht.
Rahel: Mein Fazit aus dem Abschlussblock ist, dass es bei uns selbst anfängt. Es ist nicht nur wichtig, wie wir nach aussen treten, sondern dass wir uns untereinander – auch über Denominationsgrenzen hinweg und wenn wir verschiedene Ansichten haben – mit Liebe und gegenseitigem Verständnis begegnen.
Raphaël Burkhalter ist Jugendpastor bei der Mennonitischen Jugendkommission der Schweiz.

Was habt ihr für eure Arbeit im mennonitischen Alltag mitgenommen?
Rahel: Das Treffen hat mich neu herausgefordert, darauf zu achten, wie ich in meinem Alltag konkret für Frieden und Gerechtigkeit einstehen kann. Ob in Bezug auf grosse politische Fragen oder in kleineren zwischenmenschlichen Konflikten, ich will mein Bestes geben, die Botschaft von Jesus mit meinen Worten und Handlungen zu bezeugen.
Raphaël: Mir wurde noch klarer, dass wir uns auf eine «nachchristliche» Gesellschaft zubewegen und dass wir uns praktisch darauf vorbereiten müssen. Das bedeutet, dass wir täglich unseren Geist erneuern, ständig an der Seite Jesu gehen und ein gebrochenes Herz für die Ungerechtigkeiten haben, denen unsere Brüder und Schwestern in der Welt ausgesetzt sind.
Interview:
Simon Rindlisbacher