In diesem Jahr sind die beiden Theologen Gerhard Lohfink und Jürgen Moltmann gestorben. Beide haben mit ihren Büchern viele Menschen weltweit erreicht. Eine Würdigung durch die beiden mennonitischen Theologen Daniel Geiser-Oppliger und Lukas Amstutz.
Gleich zwei bedeutende Theologen sind in diesem Jahr gestorben: Am 2. April der römisch-katholische Theologe Gerhard Lohfink im Alter von 89 Jahren und am 3. Juni der evangelisch-reformierte Theologe Jürgen Moltmann im Alter von 98 Jahren.
Beide haben mit ihren Büchern weltweit ein Millionenpublikum erreicht und ganze Generationen geprägt. Dabei wurden sie nicht nur in der katholischen beziehungsweise reformierten Kirche gelesen. Auch in den Freikirchen, unter anderem bei den Mennoniten und Mennonitinnen, fanden ihre Bücher grosse Resonanz. Lohfink vor allem mit seiner Lehre von der Kirche und Moltmann mit seiner Theologie der Hoffnung.
Daniel Geiser-Oppliger und Lukas Amstutz, zwei mennonitische Theologen, geben einen kurzen Einblick in die Theologie von Lohfink und Moltmann und thematisieren den Einfluss auf die mennonitische Theologie und auch auf sie persönlich.
«Mich haben zwei der Themen interessiert, die bei Lohfink eine wichtige Rolle spielten»
Dreimal habe ich Gerhard Lohfink getroffen: Einmal 1982 bei seiner Buchvorstellung: «Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?» Dann bei einer Ökumenischen Veranstaltung, zum Thema: «Die Überwindung des konstantinischen Wegs – Trennung von Kirche und Staat». Und anlässlich der Feierlichkeit zum 80. Geburtstag von Eberhard Arnold, der Gründer des Bruderhofes. Er sprach zum Thema: «Haben die ersten Christen Jesus verstanden?»
Mich haben vorwiegend zwei der Themen interessiert, die bei Lohfink eine wichtige Rolle spielten, und die ich in meine theologische Reflexion als Täufer (Mennonit) aufnahm. Einmal, die Beziehung zwischen Israel als Volk Gottes und der Christenheit, die Kirche und zweitens, die Ekklesiologie. Bei vielen Mennoniten fand Lohfinks Gemeindeverständnis (Ekklesiologie), wohl deshalb Anklang, weil er für die Trennung von Staat und Kirche, für eine nachkonstantinische Zeit plädierte, eine Kontrastgesellschaft.
Die Thematik «Beziehung Israel und Kirche» half mir, meine theologische Position eindeutig zu klären und zu festigen. Lohfink war überzeugt: «Die Christen aus den Völkern müssten erkennen, dass sie nur als ‹Hinzuberufene› Teilhaber der Erwählung Israels sind (Röm 9–11).» Die Jesusbewegung mit seinen zwölf berufenen Jüngern war im erwählten Volk Gottes, Israel, verankert und mit diesem verbunden. Die Trennung der Kirche vom Volk Gottes hielt er für eine fatale Fehlentwicklung. Die im 2. Jahrhundert entstandenen Substitutionstheologie, d.h. die Lehre der Ablösung und Enteignung Israels durch die Kirche war aus seiner Sicht ein folgeschwerer Irrtum. Die Kirche habe Israel nicht abgelöst oder ersetzt, sei weder das neue Israel noch ein neues Gottesvolk. Gott habe sein erwähltes Volk Israel nicht verworfen. Gottes Bund mit Israel bleibe in Kraft. Deshalb schrieb Lohfink: «Die jüdischen und christlichen Traditionen haben nie unabhängig voneinander existiert, sie waren von Anfang an interaktiv und interdependent. Allerdings standen sie sich oft genug feindlich gegenüber, insbesondere die christliche gegenüber der jüdischen.» Leider wird an der Enteignungslehre Israel auch von Mennoniten bis heute festgehalten.
Lohfinks Ekklesiologie-Verständnis ist der Ort der leibhaften Nähe Gottes. Der jesuanische Ruf nach Metanoia fordert ein radikales Umdenken. Die Ekklesia ist eine lebendige Gemeinschaft der Herausgerufenen, wo Glaube und Nachfolge gelebt und erlebt wird. Eine alternative Gemeinschaft, die sich von der übrigen Gesellschaft in klaren Konturen unterscheidet. Eine Kontrastgesellschaft, die sich an Jesus orientiert, sich in Jesu Geschehen einverleiben lässt. Biblisch ausgedrückt: Sauerteig im Mehl der Welt sein. Die «Kontrastgemeinde», hat Auswirkungen durch ihr Wesen und ihr Modelcharakter in die Gesellschaft. Dazu hielt Lohfink fest: «In einer Welt der Zwietracht lebt sie einträchtig; in einer Welt voll Feindschaft setzt sie sich für Frieden und Freundschaft ein; in einer Welt der Ungerechtigkeit lebt sie für die Gerechtigkeit einer liebenden Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern.»
Bezüglich des politischen Engagements haben wir Täufer eine andere Position; die Bücher von Lohfink kann ich dennoch empfehlen, besonders: «Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? – Kirche im Kontrast», «Braucht Gott die Kirche?» und auch «Warum ich an Gott glaube» mit interessanten biografischen Einblicken.
Text:
Daniel Geiser-Oppliger
Im Ende – der Anfang
Was ich von Jürgen Moltmann über die christliche Hoffnung gelernt habe
Als 17-jähriger Luftwaffenhelfer erlebte Jürgen Moltmann, wie der Bombenhagel der Alliierten die Stadt Hamburg 1943 in Schutt und Asche legte. Eine Bombe zerriss seinen Schulfreund, der neben ihm stand. Moltmann, in einem säkularen Elternhaus aufgewachsen, schrie in jener Nacht erstmals: Gott – wo bist du?
Diese Katastrophenerfahrung war der Auftakt einer Glaubensreise, die rund zwanzig Jahre später zur Veröffentlichung der Theologie der Hoffnung führte. Moltmann rückte damit die Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) in den Fokus seines theologischen Denkens. Dabei war es ihm wichtig, nicht von einer fernen Zukunft zu reden, die sich aus Vergangenheit und Gegenwart entwickelt. Er sprach vom Advent – eine Zukunft, die kommt und neue Möglichkeiten schafft. Er war überzeugt, dass, gerade auf dem Hintergrund der Schrecken des Zweiten Weltkriegs, die christliche Hoffnung Menschen nicht einfach auf ein besseres Leben im Jenseits vertrösten kann und darf. Hoffnung erlebte er zeitlebens als treibende Kraft für ein gesellschaftliches Engagement. «Wir werden aktiv, so weit wir hoffen. Wir hoffen, so weit wir in den Bereich zukünftiger Möglichkeiten blicken. Was wir für möglich halten, nehmen wir in Angriff.»
Hoffnung war für Jürgen Moltmann nicht eine menschliche Utopie. Über den Dreh- und Angelpunkt seiner Hoffnungstheologie sagte er: «Christliche Hoffnungslehre spricht von Jesus Christus und seiner Zukunft. Nur in seinem Namen ist Hoffnung christlich.» In der Jesusgeschichte wird für ihn erkennbar, dass die Hoffnung sehr häufig im Angesicht von Leid und Ungerechtigkeit entsteht. Erscheint die Kreuzigung als gewohnter Triumph des Bösen, erschafft Gott in der Auferweckung Jesu eine begründete Hoffnung: Das letzte Wort spricht nicht der Tod, sondern der lebendige Gott, der das Leben liebt und zurechtbringend verwandelt. Das beinhaltet auch die Hoffnung, dass in der Ewigkeit das zerbrochene, zerstörte und verunfallte Leben eine Zukunft hat.
Als Hoffnungsgemeinschaft kann sich die Kirche mit ungerechten und lebensfeindlichen Zuständen nicht abfinden, sondern muss ihrer Hoffnung entsprechend leben. «Wir warten und eilen, wir hoffen und dulden, wir beten und wachen, wir sind geduldig und neugierig zugleich. Das macht das christliche Leben spannend und lebendig. Der Glaube: ‘Eine andere Welt ist möglich’, macht Christen nachhaltig zukunftsfähig.»
Jürgen Moltmanns Theologie eignet sich weder, ein von Menschen geschaffenes Friedensreich zu erhoffen, noch bange über einen mehr oder weniger gottgewollten Weltenkollaps zu spekulieren. Seine Theologie verweist uns an die Verheissungen Gottes und dem, was daraus werden kann und wird. Mit diesem Blick will und kann ich mich auch inmitten aller gegenwärtigen Krisen und Katastrophen hoffnungsvoll engagieren, denn «wir handeln dann im wörtlichen Sinne para-dox, das heisst: gegen den Augenschein und gegen die Erfolglosigkeit, denn wir sehen in der Hoffnung mehr, als den Augen erscheint, wenn sie in die Zukunft der Welt blicken. Wir sehen dann diese unsere Welt im Reich Gottes zurechtgebracht und erlöst.»
Eine Einführung in Moltmanns Hoffnungstheologie bietet:
Jürgen Moltmann, Im Ende – der Anfang. Eine kleine Hoffnungslehre, Gütersloh 2003.
Text:
Lukas Amstutz