Die Evangelische Mennonitengemeinde Schänzli setzt bewusst auf unterschiedliche und klar profilierte Gottesdienstformate. Sie finden alle am Sonntagmorgen um 10.00 Uhr statt und keines wird wohl jemals allen gefallen. Das muss auch nicht sein, finden Emanuel Neufeld und Dennis Thielmann, welche die neue Angebotspalette mitentwickelt haben.
In welcher Art und Form von Gottesdienst fühlt ihr euch persönlich besonders wohl?
Dennis Thielmann: Ich bin vielseitig offen. Am meisten inspiriert mich zurzeit wohl die Kombination von einer durchdachten und klugen Liturgie mit starkem Bandsound und gutgemachter Musik.
Emanuel Neufeld: Ich will mich da gar nicht festlegen und mag die Abwechslung. Besonders wohl fühl ich mich dann, wenn ich merke, dass das, was geschieht, wohl überlegt ist. Wenn die Gemeinde mitgenommen wird auf einen Weg, der Raum schafft für Begegnung mit Gott.
Die evangelische Mennonitengemeinde Schänzli, wo ihr Mitglied seid, bietet schon lange verschiedene Gottesdienstformate an. Dennis, du hast vor rund fünf Jahren das Angebot analysiert. Was hast du wahrgenommen?
DT: Mir ist aufgefallen, dass es eine Vielfalt gibt, die sehr organisch entstanden ist. Das hat damit zu tun, dass es in unserer Gemeinde unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Begabungen gibt. Und man hat den Leuten immer wieder die Möglichkeit gegeben, einen Gottesdienst nach ihrem Geschmack zu gestalten. So hat es zum Zeitpunkt meiner Analyse Gottesdienste mit Band und modernen Worship-Liedern gegeben, Gottesdienste mit Orgel oder Klavier und vierstimmigem Gesang und es sogar mal welche mit einer Art Countryband.
Ist eine solche Vielfalt gut oder schlecht?
DT: Das Modell steht im Kontrast zu anderen Gemeinden, wo ganz bewusst nur ein Stil gelebt wird. Letzteres hat zwar Kraft, weil auch die Zielgruppe sehr klar ist. Aber rechts und links wird ganz viel ausgegrenzt. In unserer Gemeinde hatte ich den Eindruck, dass die Vielfalt eine Botschaft für sich hat: Gerade in unserer Unterschiedlichkeit versuchen wir zusammenzuhalten. Das ist ja an und für sich schon gute Nachricht. Der Gottesdienst wird so zum Ort, wo man Friedenskultur einüben kann.
War die Vielfalt immer friedlich?
EN: Nein, natürlich nicht.
Was ist passiert?
EN: Es gab eine Zeit, da haben wir versucht alles in einen Gottesdienst zu packen: Bandmusik zum Beispiel und vierstimmiger Gesang mit Orgel. Das gab dann immer mal wieder eine ungesunden Konkurrenzsituation und manchmal sogar Spannungen zwischen den Musikschaffenden. Die Person, die die Gottesdienstleitung hatte, musste dann verhandeln. Ich mag ja beides, fand das persönlich aber manchmal anstrengend. Irgendwann haben wir dann entschieden, dass wir die Stile nicht mehr mischen, sondern «entweder oder» machen, einfach um Klarheit zu schaffen.
Nun geht eure Gemeinde noch einen Schritt weiter und hat die einzelnen Formate bewusst geschärft. Warum habt ihr euch dafür entschieden?
EN: Dazu angeregt hat Dennis ausgehend von seiner Analyse. Das Anliegen war, als Gemeinde anschlussfähig zu bleiben für jung und alt. Gerade jüngere Menschen sah man nach der Pandemie nicht mehr so oft im Gottesdienst. Da sie es auch vom Format abhängig machen, ob sie kommen oder nicht, lag es auf der Hand, etwas zu schaffen, das vom Profil her deutlich auf sie zugeschnitten ist. Und dann gilt: Wenn klarer ist, was im Gottesdienst so läuft, weiss ich besser, zu wem das passt und wen ich einladen könnte – vielleicht auch Bekannte, die zuvor noch nie in unserer Gemeinde waren.
DT: Allerdings war es nie das Hauptanliegen, möglichst viele Leute anzulocken. Viel wichtiger war uns, Raum zu schaffen für das Zusammensein trotz unterschiedlichen Bedürfnissen, Raum für mehr tatsächliche Vielfalt. Es braucht dann immer noch Kompromisse und Rücksichtnahme, aber gewisse Unterschiede dürfen auch stehen bleiben.
Wie seid ihr konkret vorgegangen?
EN: Nach Dennis’ Analyse wurde vom Team der Predigenden und von der Bereichsleitung «Gottesdienst» eine Projektgruppe beauftragt, zu der auch wir beide gehörten. Unsere Aufgabe: Überlegen, welche der bestehenden Formate deutlicher auf bestimmte Bedürfnisse zugeschnitten werden könnten und sollten. Zugleich sollten wir schauen, welche neuen Formate es bräuchte für ein umfassendes Gesamtangebot – natürlich immer mit einem Blick auf die Ressourcen.
DT: Einige der Formate konnten wir am Ende belassen, wie sie sind. Dann ist bereits ziemlich am Anfang des Projekts – mehr oder weniger unabhängig von unserer Arbeit – der «Soul Sunday» lanciert worden. Das ist ein meditativer Gottesdienst rund um die «Songs of Peace», die ich mit meiner Frau Karin entwickelt habe. Er hat sich bis jetzt als gute Ergänzung zum bestehenden Angebot erwiesen. Ein weiteres Format haben wir schliesslich auch noch neu angeregt.
Das heisst, dass du bei deiner Analyse auch Lücken im Angebot entdeckt hast, Dennis?
DT: Genau, mir ist aufgefallen, dass es keinen wirklich ausgeprägten, kraftvollen Worship-Gottesdienst gab.
Wie würde denn ein kraftvoller Worship-Gottesdienst aussehen?
DT: In Gemeinden, die auf ein solches Format setzen, wird sehr viel in die Musik und die Performance investiert. Die Musik ist laut und du singst dreissig, vierzig Minuten. Dabei entsteht ein Flow, der dich hineinzieht. Das kann eine ganz berührende Erfahrung sein. Natürlich spricht so etwas nicht jeden an, aber es gibt viele Kirchen und Gemeinden, die in einem solchen Lobpreiserlebnis aufblühen. Einen solchen Gottesdiesnt habe ich in unserer Gemeinde nicht vorgefunden.
Sondern?
DT: Es gab zwar Bandgottesdienste mit moderner Lobpreis-Musik. Aber drei, vier Lieder, wie sie da jeweils vorkommen, produzieren nicht diesen Flow. Besonders, wenn sie dann auch noch in eine Liturgie eingebettet sind und nach jedem Lied ein Wortbeitrag kommt.
Gibt es das Bedürfnis für solche hochemotionalen Gottesdienste in eurer Gemeinde überhaupt?
EN: Ja, auf alle Fälle. Bei manchen sehr wohl, bei anderen aber auch gar nicht. Da sind wir wieder bei der Frage: Was passt zu uns? Für einige, die es emotionaler mögen, ist der «Soul Sunday» zu einem Ort geworden, der ihnen sehr entspricht. Andere suchten nochmal etwas anderes.
Wie seid ihr genau vorgegangen, um ein Gottesdienst in zum Leben zu erwecken, der diesem Bedürfnis gerecht wird?
EN: Vor etwa einem Jahr haben wir drei Personen angefragt, ob sie einen solchen «kraftvollen Worship-Gottesdienst mit Flow» entwickeln möchten. Sie waren damals aber alle aus verschiedenen Gründen noch nicht bereit dazu oder die Zeit war einfach noch nicht reif. Dann stellten wir zum Abschluss des Projekts allen Gottesdienstmitwirkenden die Ergebnisse unserer Arbeit vor. Und plötzlich zündete es bei ein paar Personen, darunter jene, die wir ursprünglich angefragt hatten. Zusammen machten sie sich schliesslich auf den Weg, etwas Neues zu entwickeln und zu wagen.
DT: Das neue Format – es heisst übrigens «Com-Unity» – konnte wohl nur so entstehen. Unsere Idee war ja nicht, in der Projektgruppe ein neues Format zu skizzieren und dann jemand zu zwingen, dieses nach unseren Vorstellungen umzusetzen. Was wir gemacht haben, war einfach die Bedürfnisse festzuhalten. Am Ende brauchte es dann Personen, die etwas von sich auch nach ihren Vorstellungen umsetzen konnten.
In dem Sinn habt ihr mit dem Prozess das Feld geöffnet und gesagt: «Es gibt einen Platz für ein solches Format»?
DT: Ja, genau. Vielleicht ist genau das der Ertrag aus dem Ganzen.
Wir haben viel über Musik geredet. Ist das der einzige Aspekt, der die Formate unterscheidet?
EN: Nein, da ist noch vieles mehr. Zum Beispiel die Sitzordnung und Raumgestaltung: Sitzen wir im Kreis oder hintereinander oder in kleinen Sitzgruppen? Und auf der inhaltlichen Ebene gibt es auch Unterschiede: Gibt es interaktive Elemente oder nicht? Hat die Predigt viel Gewicht oder gibt es eher einen kürzeren Input mit anschliessendem Austausch?
DT: Zumindest für die Formate in unserer Gemeinde ist Musik aber schon ein prägendes Element. Wenn man einen Gottesdienst gestaltet, hilft es, ein paar Pflöcke einzuschlagen und alles andere rundherum zu gestalten. Musik ist aus meiner Sicht ein solcher Pflock und ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Sie nimmt oft viel Platz ein. Ich finde, daher ist es auch gerechtfertigt, viel darüber zu diskutieren.
EN: Und doch würde ich das Gottesdienstthema nach wie vor als zentralen Pflock bezeichnen, von dem her sich Musik, Lieder und Gestaltung entfalten. Quer durch unterschiedliche Formate.
Wie sieht denn nun konkret das Konzept aus, das ihr entwickelt habt?
EN: Wir haben das visualisiert als «Gottesdienst-Rad». Es stellt alle Sonntage eines Jahres in einem Kreis dar. Man sieht, wie die verschiedenen Gottesdienstformate auf das Jahr verteilt sind. Jedes Gottesdienstprofil ermöglicht etwas, was in einem anderen Profil weniger stark der Fall ist. Kein Gottesdienst kann oder muss alles beinhalten und setzt dabei doch Akzente.
DT: Wichtig ist: All diese Formate finden am Sonntagmorgen um 10.00 Uhr statt und das ist ein Statement. In unserer Gemeinde ist das immer noch Primetime. Deshalb sagt die Gemeinde damit: All diese Formate sind uns wichtig und gehören dazu und damit auch alle Menschen, denen sie zusagen.

Dennis Thielmann ist Musikproduzent und Theologe. Er arbeitet als Bildungsreferent am Bildungszentrum Bienenberg und ist Mitglied in der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli.
Wie viele Gottesdienstformate gibt es heute?
EN: Insgesamt gibt es sechs davon: An etwa der Hälfte der Sonntage findet ein Gottesdienst statt, der eher klassisch-traditionell ist mit vierstimmigem Gesang, meist vom Klavier oder der Orgel begleitet, eingebettet in verschiedene Wortbeiträge und einer Predigt. Dann gibt es acht Gottesdienste, die einen Liederblock von drei bis vier Liedern haben, wo eine Band spielt. Familiengottesdienste gibt es drei bis vier pro Jahr.
DT: Und dann haben wir noch die neueren Formate. Von diesen findet der «Soul Sunday» viermal im Jahr statt. «Com-Unity» findet dreimal statt und zweimal gibt es «Brunch & Connect». Da brunchen wir als Gemeinde zusammen und es gibt einen kurzen Input und ein paar Fragen, um beim Essen miteinander zu diskutieren. Das Format wird von den jungen Erwachsenen gestaltet. Es ist ganz neu und darf sich auch noch entwickeln.
Wie hat die Gemeinde bisher auf all die Neuerungen reagiert?
EN: Besonders nach der ersten Ausgabe von «Com-Unity» gab es viele Rückmeldungen, sowohl begeisterte als auch kritische. Das hatte aber wohl nicht nur mit dem neuen Format an sich zu tun, sondern auch mit einer Häufung von neuen und ungewohnten Gottesdiensten in einem kurzen Zeitraum. Das hat Fragen ausgelöst.
Viele Formate, die ganz spezifische Zielgruppen ansprechen – besteht nicht die Gefahr, dass die Gemeinde zerfällt?
EN: Die Realität ist, dass es wahrscheinlich keinen einzigen Gottesdienst geben wird, der allen gefällt. Einige gefallen vielen oder sogar sehr vielen. Aber allen: Das ist vorbei. Die Frage ist, mit welchen Erwartungen die Leute in den Gottesdienst kommen. Erwarten sie, dass es immer um sie geht und ihnen immer alles gefallen muss? Wer diese Haltung hat, wird enttäuscht sein. Und wenn alle diese Erwartung haben, fällt die Gemeinde irgendwann auseinander. Wenn die Leute aber sagen: «Weil es die Vielfalt gibt, komm ich darin vor. Und die Vielfalt schafft ebenso Raum für andere. Gott ist und bleibt im Zentrum», dann habe ich viel Hoffnung.
Emanuel Neufeld ist Theologe und Pastor in der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli.

Schwingt da die Erwartung mit, dass alle Mitglieder der Gemeinde auch Formate besuchen, die ihnen nicht so zusagen?
DT: Ja, schon. Und genau das ist die Challenge. Es bedingt, dass die Leute erkennen: Ich bin hier Teil eines grösseren Ganzen. Vielleicht bin ich auch mal im Gottesdienst, weil das Format nicht mir besonders zusagt, sondern der Person neben mir; weil nicht ich vom Gottesdienst in dieser Form berührt bin, sondern sie. Heute trage ich das mit und am nächsten Sonntag gibt es dann etwas, das mir mehr liegt.
Funktioniert das? Gibt es keine Abstimmung mit den Füssen?
EN: Doch, die gibt es definitiv – nicht erst seit wir die neuen Formate eingeführt haben. Und dazu haben ja auch alle die Freiheit. In dem wir transparent machen, was an welchem Sonntag ist, geben wir allen die Möglichkeit sich drauf einzustellen und sozusagen «Entscheidungshilfen». Auch wenn wir kaum noch einen übervollen Saal erleben wie vor der Pandemie, sind doch alle Formate mehr oder weniger gut besucht. Ob sich das Ganze bewährt, werden wir aber erst noch sehen. Ich denke, wir müssen jetzt mal mit dem Konzept eine Runde fahren und dann eine Auswertung machen. Und letztlich zählt am Ende ja nicht, ob alle zufrieden sind und es schön finden, sondern ob unsere «Gottesdienste am Sonntag» Auswirkungen haben für unsern «Gottesdienst im Alltag».
Interview:
Simon Rindlisbacher