Bei der Schweizerischen Mennonitischen Mission steht 2024 ein Umbruch bevor: Ein Grossteil der Vorstandsmitglieder tritt nach vielen Jahren im Gremium zurück. Zudem geben Heike Geist und Max Wiedmer ihren Job auf. Die beiden bildeten in den letzten 13 Jahren die Geschäftsleitung des Missions- und Hilfswerks der Schweizer Mennoniten. Sie finden, dass es dieses weiterhin braucht. Es sei aber an der Zeit über das Missionsverständnis zu diskutieren.
Heike und Max, ihr wart beide 13 Jahren lang die Geschäftsleitung der Schweizerischen Mennonitischen Mission (SMM). Nun plant ihr euren Abschied im kommenden Jahr: Max, du wirst pensioniert und Heike, du orientierst dich neu. Wisst ihr schon, was ihr an eurem Job vermissen werdet?
Heike Geist: Den Blick über den Tellerrand, die Kontakte ins Ausland. Das hat mich immer begeistert. Zu wissen was beispielsweise in Myanmar läuft oder in Thailand und am Puls der Menschen bleiben, die mit SMM dort im Einsatz sind.
Max Wiedmer: Neben den Kontakt mit unseren Mitarbeitenden im Ausland hatte ich viel Kontakt mit anderen mennonitischen Hilfs- und Missionswerken in der ganzen Welt. Das hat mir gut gefallen. Diesen Kontakt werde ich sicher vermissen.
Was werdet ihr nicht vermissen?
HG: Nicht vermissen werde einige der administrativen Aufgaben, die komplex und manchmal zäh waren. Und neue Projekte anzureissen und aufzugleisen war mir bisweilen auch etwas zu harzig.
MW: Ich bin einfach froh um einen Wechsel nach 14 Jahren. Ich bin noch nie so lange auf einer Stelle gewesen. Ich habe ja schon länger eine kleine Filmproduktionsfirma, die Affox.ch. Nun freue mich darauf dafür mehr Zeit zu investieren und mehr Filme zu machen, zum Beispiel für die Serie «Transmission».
Mit welchen Wünschen und Zielen seid ihr gestartet? Was ist daraus geworden?
MW: Unsere erste Aufgabe war, das sogenannte Trägerkreissystem einzuführen, das heisst, dafür zu sorgen, dass alle Mitarbeitenden im Ausland sich selbst einen Kreis von Spender:innen aufbauen, die ihre Arbeit finanzieren. Der Grund für diesen Schritt war, dass es nicht mehr genug allgemeine Spenden an SMM gab, um die Arbeit aller Mitarbeitenden zu finanzieren. Nach knapp drei Jahren war das System etabliert und für alle zufriedenstellend eingepegelt. Dieses Ziel haben wir also erreicht.
HG: Zudem war unsere Aufgabe, die Administration der SMM neu aufzugleisen und die SMM-Mitarbeitenden zu begleiten. Auch das haben wir getan und es ist uns meiner Meinung nach gut gelungen. Zudem war uns wichtig, junge Leute zu ermutigen sich im Ausland einzubringen. Mit dem Angebot der Kurzzeiteinsätze ist das auch teilweise gelungen.
Gibt es etwas das nicht gelungen ist?
HG: Wir hätten uns insgesamt gewünscht, mehr neue Menschen für die Arbeit mit SMM zu gewinnen. Einerseits für Missionseinsätze im Ausland, aber auch hier in der Schweiz.
MW: Ja, genau. Beispielsweise haben wir die Gründung einer neuen Gemeinde in Genf gestartet. Die ist aber gescheitert. In Zürich konnten wir nicht einmal den Versuch starten – unter anderem auch, weil die Gemeinden nicht die Ressourcen hatten und keine Leute stellen konnten dafür. Das finde ich rückblickend schade.
HG: Leider konnten wir auch nicht viel dazu beitragen, bei den Jungen in den Gemeinden der Konferenz der Mennoniten der Schweiz (KMS) den Funken für Mission zu zünden. Mag sein, dass wir dafür zu wenig präsent waren in den Gemeinden. Vielleicht liegt es aber auch an der kontroversen Haltung der Gemeinden zu Mission.
Inwiefern ist die Haltung kontrovers?
HG: Es gibt Gemeinden, die fragen sich, was Mission überhaupt noch soll und ob sie noch zeitgemäss ist. Gleichzeitig wollen andere mehr davon und finden, dass man noch Einsätze im Ausland ermöglichen und Jesus Christus überall hintragen sollte. Ich habe da eine gewisse Zerrissenheit innerhalb der Konferenz festgestellt und denke, da braucht es auf dieser Ebene einen Entscheid: Wollen wir überhaupt noch Mission und wenn ja, in welcher Form?
Was findet ihr denn persönlich? Ist Mission noch nötig?
HG: Die entscheidende Frage ist für mich: Wie begeistert sind wir von unserem Unterwegssein mit Jesus? Quillt uns die Begeisterung aus den Knopflöchern? Wenn ja, geschieht Mission quasi von selbst, wo auch immer wir sind, egal ob hier oder im Ausland. Eine gute Form von Mission lässt sich für mich mit «begleiten statt missionieren» zusammenfassen. So verstanden geht es in der Mission darum, auf Einladung an einem anderen Ort das einzubringen, was man mitbringt – die Begeisterung für Jesus, aber auch die eigenen Talente und Ressourcen. So ist Mission Beziehungsarbeit, die Geduld braucht, aber auch die Chance bietet, selbst zu lernen von den Menschen, denen man begegnet. Auf diese Weise lässt sich möglicherweise nachhaltiger etwas positiv verändern, als wenn man einfach in ein Land fährt und dort von einem Podest aus Jesus verkündet.
MW: Aus Sicht der Mitarbeitenden beziehungsweise der Menschen, die in Mission gehen finde ich auch die Horizonterweiterung einen wichtigen Aspekt. Durch die Missionsarbeit sehen nicht nur die Mitarbeitenden vor Ort, sondern auch wir hier in unterschiedliche Kontexte hinein. Das hilft, unsere eigene Situation hier mit anderen Augen zu sehen.
Die SMM ist nicht nur Missionswerk, sondern auch Hilfswerk. Gut ein Drittel des Budgets geht in Projekte in diesem Bereich. Was genau ist der Unterschied?
HG: Hilfswerkarbeit ist für uns Soforthilfe für Krisensituationen im Ausland, beispielsweise bei einem Erdbeben oder einer Hungersnot. Diese Soforthilfe wird aus der Schweiz aufgegleist und zusammen mit lokalen Partnern geleistet. Die Missionsarbeit, die unsere Mitarbeitende im Ausland machen, ist langfristig, und streng genommen geht es darum, die gute Nachricht zu verbreiten. Das kann aber in Wort und Tat geschehen. Das heisst es gibt Mitarbeitende von uns, die im Ausland Gemeinden aufbauen. Gleichzeitig arbeiten andere beispielsweise in einem Spital mit und unterstützen die Menschen vor Ort, die Gesundheitsversorgung zu verbessern.
MW: Ich würde auch sagen, dass Missions- und Hilfswerksarbeit immer wieder ineinanderfliessen. Das sieht man aktuell gut am Beispiel von Multiply Europe. Das Missionswerk der Mennoniten Brüdergemeinden ist unter anderem in der Ukraine tätig und hat dort lange vor allem Missionsarbeit gemacht und verschiedene Gemeinden gegründet. Als dann der Krieg ausgebrochen ist, ist Multiply auch zu einem Hilfswerk geworden, das mittels der Gemeinden vor Ort Nothilfe leistet.
IIm nächsten Jahr steht bei SMM ein Umbruch bevor. Ihr beide werdet euren Job abgeben. Gleichzeitig muss der Vorstand erneuert werden. Die Suche nach neuen Mitgliedern läuft auf Hochtouren – mit mässigem Erfolg. Lässt sich der Vorstand bis im Sommer nicht besetzen, ist SMM in der jetzigen Form möglicherweise gefährdet. Warum braucht es aus eurer Sicht die Organisation noch?
HG: Auch wenn es vielleicht nicht mehr viele sind, gibt es immer noch Menschen in den Gemeinden der KMS, die sich im Rahmen eines Missionseinsatzes engagieren wollen. Ich finde es wertvoll, wenn diese Personen auch in Zukunft von einem KMS-eigenen Werk begleitet werden und es eine Organisation gibt, die alle KMS-Gemeinden über deren Arbeit informiert. Allenfalls lässt sich aber die Personaladministration an ein anderes, grösseres Missionswerk auslagern.
MW: Diese Auslagerung ist für mich ein «must». Die Aufgaben rund um das Personalwesen werden immer komplexer und müssen von Profis erledigt werden. Für uns als kleines Werk lohnt es sich nicht, extra eine:n Spezialist:in anzustellen. Da lagern wir diese Arbeiten besser aus.
HG: Stimmt, wenn wir die Arbeitgeberfunktionen auslagern können, wäre für alle anderen Aufgaben mehr Zeit. Neben den beiden Punkten, die ich bereits genannt habe, kommt noch hinzu, grundsätzlich das Interesse für Mission wach zu halten.
MW: Und natürlich junge Menschen für Einsätze zu gewinnen, auch nur für kurze. Das finde ich besonders wichtig. Genauso, wie die Hilfswerkarbeit und für die internationale Vernetzung mit anderen Organisationen wie dem MCC und den mennonitischen Werken in Europa. Auch für diese beiden Aspekte würde mehr Zeit bleiben.
So könnte SMM nach wie vor eine Rolle spielen?
HG: Genau. Mission hat einfach immer noch zu fest das Image von: «Wir gehen ins Ausland und erzählen den armen Menschen dort, wie es läuft.» Das will berechtigterweise niemand mehr. Es braucht daher neue Formen von Einsätzen im Ausland, im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit beispielsweise. Aber auch Projekte, die man hier aufziehen könnte.
MW: Gefordert ist die SMM auch, weil wir sehen, dass die Gemeinden kleiner werden. Dafür gibt es viele Gründe und es lässt sich feststellen, dass es sich um ein breites westliches Phänomen handelt. Viele Kirchen verlieren Mitglieder! Auch hier könnte die SMM als Missionswerk in Zukunft eine Rolle spielen und beispielsweise helfen, Antworten auf die Frage zu entwickeln, wie dieser Trend gedreht werden könnte, wie Menschen Nachfolge und Glaube wieder als etwas Relevantes entdecken könnten.
HG: Was genau zustande kommt, hängt sehr stark von den Leuten ab, die in der SMM übernehmen.
Wie gross ist der Spielraum Neues anzureissen?
HG: Das hängt damit zusammen, wer die Leute sind, die neu in den Vorstand kommen und jene, die später unsere Aufgaben übernehmen. Wenn sie schon viel Vertrauen geniessen, weil sie bekannt sind, dann ist der Spielraum sicher gross. Dann lässt sich auch etwas Neues und Ungewohntes relativ rasch umsetzen. Weniger bekannte und etablierte Personen müssen zuerst einmal Beziehungen in die Gemeinden aufbauen und sich so den Spielraum erarbeiten.
Macht mal ein bisschen Werbung: Wieso sollte sich jemand im SMM-Vorstand engagieren?
HG: Die Arbeit macht Spass und ermöglich einem einen Blick über den Tellerrand. Man hat die Möglichkeit zu gestalten, Projekte umzusetzen und mit Menschen unterwegs zu sein. Mich persönlich begeistert das.
MW: Wir haben diese Frage kürzlich auch den jetzigen Vorstandmitgliedern gestellt. Sie haben alle festgehalten, wie bereichernd die Arbeit für sie ist. Es sei eine Chance die eigenen Erfahrungen für Gottes Reich einzusetzen und auf der ganzen Welt Menschen in Not zu helfen und einen Unterschied in ihrem Leben zu machen. Die Hilfswerksarbeit sei Friedensarbeit an der Basis für Menschen, die oft fast alles verloren hätten. Allen macht es zudem Freude, die Mitarbeitenden im Ausland zu begleiten und auch im Vorstand als Team unterwegs zu sein.
Was muss man mitbringen, um im Vorstand mitzuwirken?
HG: Vorstandsmitglieder müssen vorwärts denken und schnell entscheiden können. Sie müssen zudem mit den starken Persönlichkeiten umgehen können, die als Mitarbeitende im Ausland im Einsatz sind. Dann wäre es ein Vorteil, wenn die Mitglieder insgesamt gut in den verschiedenen Mennonitengemeinden verankert wären. Und man muss gut in die Gemeinden hinein kommunizieren können.
MW: Es braucht Weitsicht und ein Herz etwas ändern zu wollen.
Interview:
Simon Rindlisbacher