Die Mennoniten sind eine vielfältige Bewegung. Was diese Vielfalt für die 500 Jahre alte Bewegung bedeutet und was an der teilweise reisserischen Darstellung der Mennoniten in den Medien dran ist, erklärt Jürg Bräker, Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten der Schweiz.
Artikel aus dem
Wochenmagazin Idea
Was braucht es, um als Mennonit in der weltweiten Gemeinschaft anerkannt zu werden?
Die kurze Antwort ist: Man gehört zu einer Gemeinde, die sich zur täuferisch-mennonitischen Tradition zählt.
Und was heisst dies konkret?
Diese weltweite Gemeinschaft ist sehr vielfältig. Alle beziehen sich in einer Weise auf die Anfänge des Täufertums im 16. Jahrhundert zurück, aber mit unterschiedlichen Rückbezügen. Grundsätzlich kann man zwei Bewegungen unterscheiden, wie sich das Täufertum weltweit verbreitet hat. Zum einen durch die – meist erzwungene – Auswanderung aus den Ursprungsgebieten in Europa in die heutige Ukraine und nach Russland, Nordamerika und im 20. Jahrhundert auch nach Südamerika, wo in verschiedenen Ländern Kolonien gegründet wurden. Zum andern geschah die Ausbreitung durch Mission von Mennoniten. Diese Gemeinden in Lateinamerika, Afrika und vielen asiatischen Ländern, und auch wieder in der Ukraine, in Litauen, Spanien und Portugal machen heute die grosse Mehrheit der Täufer aus und sind eigenständige Mitglieder der weltweiten Täuferbewegung. Das grosse Wachstum der Kirchen im globalen Süden geht auf ihre eigenständige Verkündigung des Evangeliums zurück. Die zahlenmässig grössten Kirchen der Bewegung findet man heute in Äthiopien und in der Demokratischen Republik Kongo.
Was bedeutet diese Vielfalt auf inhaltlicher Ebene?
Es gibt viele pfingstlich-charismatisch geprägte Gemeinden, befreiungstheologisch-liberale, konservative, evangelikale. Meist erfasst keine dieser Etiketten die gelebte Wirklichkeit, die ständig in Bewegung ist, nicht zuletzt durch die vielfältigen Bezüge, wie sie im weltweiten Leib der täuferischen Gemeinschaft gelebt wird. Gemeinsam ist sicher, dass man durch eine Bekenntnistaufe Mitglied wird. Die Kirchen der MWK bekennen sich zu sieben „gemeinsamen Überzeugungen“. Letztlich verbindet uns das Anliegen der frühen Täufer, als Gemeinschaft im konkreten alltäglichen Leben Jesus Christus nachzuleben, im Kommen seines Friedensreiches mitzuwirken.
Was löst der Ukraine-Krieg in der weltweiten Denomination mit pazifistischer Tradition aus?
Der Krieg in der Ukraine hat auf der Ebene der Weltkonferenz spannende Diskussionen ausgelöst. Wenn aus den europäischen Mennonitenkonferenzen Stimmen kommen, die nach einer Neubewertung der Friedenstheologie fragen, kommt aus anderen Weltgegenden berechtigterweise die kritische Anfrage, was denn diesen Konflikt so anders macht als das, was sie in ihren Ländern erleben.
Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Zu nennen ist da die Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo, die Militärdiktatur mit brutalsten Vertreibungen in Myanmar, der Krieg in Äthiopien, der systematische Terror durch Drogenmafia oder Boko Haram, die gewaltsame Unterdrückung von Protesten in Hongkong. In all diesen Konflikten haben sich die täuferischen Kirchen weiterhin zum gewaltfreien Widerstand bekannt und wurden von der weltweiten Kirche darin bestärkt. Passiver Pazifismus, der oft mit Widerstandslosigkeit verwechselt wird, wurde in solchen Konflikten längst abgelöst durch aktiven Widerstand und Konflikttransformation mit Mitteln, die auf letale Gewalt verzichten. Sicher stellen sich auf der politischen Ebene andere Fragen, wenn eine Atommacht Krieg führt. Aber nicht nur Atommächte führen Vernichtungskriege und dies hat beim weltweiten Täufertum das Bekenntnis zum gewaltfreien Widerstand nicht infrage gestellt. So lösen die Fragen nach der Bewertung des Pazifismus angesichts der Brutalität des Ukraine-Kriegs sekundär Anfragen aus anderen Kriegen und Konfliktsituationen aus: Zählen diese Kontexte weniger, wie wenn es Europa und Nordamerika trifft? Warum löst die Gewalt im Kongo und in Myanmar keine vergleichbaren Solidaritätswellen aus?
Mennoniten werden in Medien immer wieder mal reisserisch mit dem rigorosen Lebensstil mancher Gemeinschaften in Nord- und Südamerika dargestellt. Welche Bedeutung haben diese für die weltweite Denomination?
Nur wenige dieser Gemeinschaften gehören der Mennonitischen Weltkonferenz an, etwa die Kolonien in Paraguay und Argentinien. Die oft porträtierten Alt-Kolonier und Amischen gehören sehr wohl zur Täuferbewegung und zur Vielfalt dieser Gemeinschaft. Die MWK lebt aktive und gute Beziehungen zu ihnen, aber sie haben sich bisher dem Verband nicht angeschlossen. Manche leben bewusste Abgrenzung, andere wollen sich einfach in ihrer Freiheit nicht binden lassen durch eine übergeordnete Organisation.

Jürg Bräker ist Generalsekretär der Konferenz der Mennoniten der Schweiz und ist als theologischer Mitarbeiter bei der Evangelischen Mennoniten-Gemeinde Bern angestellt.
Wie gross ist der Anteil dieser Gemeinschaften an der weltweiten Täuferbewegung aus?
Die Kolonien in Südamerika, Old-order Mennonites, Alt-Kolonier und Amische machen wahrscheinlich etwas mehr als 15 Prozent des weltweiten Täufertums aus.
Inwiefern Prägen sie die Debatten innerhalb der ganzen Bewegung?
Auch wenn wir uns klar dazu bekennen, dass sie zu unserer Gemeinschaft gehören, sind die theologischen Debatten innerhalb der MWK und das Gemeinschaftsleben von anderen Strömungen geprägt. Dazu gehören an der Befreiungstheologie orientierte beziehungsweise kontextuell orientierte Gemeinschaften in Nord- und Mittelamerika und Europa, friedenskirchliche Strömungen, evangelikal und charismatisch geprägte Gemeinschaften. Letztere findet man vor allem in den durch Mission entstandenen Gemeinden. Die Akzente verschieben sich ständig, Etiketten treffen die Wirklichkeit selten. Aber die Themen, welche die erwähnten Medienberichte aufgreifen – etwa die Frage, ob ein Mobiltelefon erlaubt sei oder die Einschränkung der Bildung, Technikfeindlichkeit und Weltabgewandtheit –, gehören nicht zu dem, was die Mennonitische Weltkonferenz prägt und umtreibt.
Interview:
David Gysel / Wochenmagazin Idea
Dieses Interview wurde zuerst im Wochenmagazin Idea veröffentlicht. Für menno.ch wurde es gekürzt und mit einem neuen Lead versehen.