Für seine Predigt zum Jahrestag des russischen Einmarsches in der Ukraine im Februar 2023 erhält Riki Neufeld den Menno-Simons-Predigtpreis. Der Pastor der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli wird seinen Teil des Preisgelds einem Freund in der Ukraine spenden.
Worüber predigt man am ersten Jahrestag des russischen Einmarsches in der Ukraine? Riki Neufeld entschied sich, das «Siegeslied» einer Frau aus dem Alten Testament auszulegen: das Lied der Debora im fünften Kapitel des Buchs Richter. Es handelt von Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Unterdrückung. In seiner Predigt, die er am 23. Februar 2023 darüber hielt, setzte der Pastor der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli diese Kriegsszenen in Beziehung zur aktuellen Situation in der Ukraine. Er fragte: Braucht Gott auch hier die Hilfe von mutigen Streiter:innen und Waffen und stellte sich den ambivalenten Gefühlen gegenüber den Waffenlieferungen westlicher Regierungen in die Ukraine zur Verteidigung gegen einen ungerechtfertigten militärischen Angriff. Im Lied der Debora kommt es schliesslich zum Tyrannenmord, aber auch, wie die Predigt zeigte, zu einem überraschenden «zweiten Blick» (nachzulesen auf www.menno-schaenzli.ch). Für seine Auslegung hat Riki Neufeld nun den Menno-Simons-Predigtpreis gewonnen. Dieser wird ihm am 4. September in Hamburg überreicht.
Riki, herzliche Gratulation zum Menno-Simons-Predigtpreis. Du hast über das Debora-Lied gepredigt, einen Text, der am Sonntagmorgen nur selten im Zentrum steht. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Ein Blog-Artikel von Walter Brueggemann, einem nordamerikanischen Theologen und Spezialisten für das Alte Testament, hat mich auf die Idee gebracht. Der Artikel war sehr inspirierend und das Debora-Lied liess mich nach der Lektüre nicht mehr los. Ich habe mich dann hingesetzt und die Predigt an einem Nachmittag zu Papier gebracht. Diese Erfahrung mache ich sehr selten. Die Predigt war für mich daher wie ein Geschenk.
Gehalten hast du diese Predigt dann am Jahrestag der Invasion Russlands in die Ukraine. War für dich von Anfang an klar, dass du den Krieg zum Thema machst?
Die Idee ist bei Vorbereitungsgesprächen mit der Person entstanden, die an diesem Sonntag für die Gottesdienstmoderation verantwortlich war. Und bei meinen Recherchen bin ich anschliessend auf den besagten Blog-Artikel gestossen. Alles andere hat sich dann ergeben. Im selben Gottesdienst führten wir übrigens auch ein kurzes Interview mit einer jungen ukrainischen Mennonitin, die in die Schweiz geflüchtet ist. Das war auch sehr berührend.
Als Pastor gehört das Predigen zu deinem Job. Was bedeutet die Aufgabe für dich?
Ich predige gerne und finde es schön, wenn ich merke, dass eine Predigt bei den Zuhörenden etwas auslöst. Dass sie zum Beispiel ermutigt werden oder herausgefordert – ob von mir beabsichtigt oder nicht. Ich mache nämlich oft die Erfahrung, dass die Leute immer wieder auch von Dingen angesprochen werden, die jenseits von dem liegen, was ich geplant und sogar gesagt habe. Das freut mich dann jeweils besonders, weil es für mich auch das Wirken Gottes zeigt. Aber: Predigten zu schreiben finde ich ehrlich gesagt auch immer wieder ziemlich anstrengend.
Inwiefern?
Ich predige nicht immer nur über brandaktuelle Themen, sondern auch generell über die Frage, in welcher Welt wir als Kirche heute leben und was uns die biblischen Texte gerade heute noch sagen können. Da Klarheit zu finden und dann eine brauchbare Predigt zu schreiben, ist herausfordernd und oft ein Ringen. Manchmal gelingt es mir rasch, manchmal brauche ich lange. Und ich finde definitiv nicht jede meiner Predigten gelungen – und schon gar nicht Menno-Simons-Predigtpreis-würdig (lacht).
Riki Neufeld ist Pastor mit Schwerpunkt junge Erwachsene bei der Evangelischen Mennonitengemeinde Schänzli.
Was bedeutet dir der Gewinn des Predigt-Preises?
Es hat mich gerührt, dass diese Predigt ausgezeichnet worden ist. Das ist eine schöne Form der Anerkennung für etwas, das ich doch recht häufig mache. Und der Gewinn fühlt sich auch etwas unverdient an, weil mir gerade bei dieser Predigt das Schreiben so leicht fiel und ich sie als Geschenk erlebt habe. Was mich freut, ist, dass ich die Predigt vor der Preisverleihung im September bei der Mennonitengemeinde Altona in Hamburg nochmals halten darf.
Was machst du mit dem Preisgeld?
Ich werde meinen Teil des Preisgeldes in die Ukraine überweisen. In der Predigt erwähne ich einen Freund aus der Ukraine, der mich mit seiner Haltung zum Krieg und auch seinem Umgang mit der Situation sehr beeindruckt. Er ist ein begnadeter Musiker und hat sich eine neue Gitarre gegönnt, weil er seine auf der Flucht verloren hatte. Vor kurzem hat er auch Musik aufgenommen, die er nun breiter streuen möchte. Ihn werde ich mit dem Geld unterstützen, damit er es in seine Musik investieren oder für sonst etwas verwenden kann, das er nötig hat. Er ist übrigens aus Überzeugung nicht im Militär, leistet aber seit dem Ausbruch des Krieges humanitäre Hilfe in der Ukraine – auch an der Front. Nun droht ihm aber, eingezogen zu werden. Wir versuchen gerade, Möglichkeiten zu finden, wie ihm das erspart bleiben könnte. Er selbst findet, er nütze seinem Land mehr, wenn er weiterhin humanitäre Hilfe leistet. Ich bete dafür, dass es für ihn eine gute Lösung gibt.
Interview:
Simon Rindlisbacher