Im Februar 2020 besuchte eine Delegation der Diakonischen Kommission der Mennonitischen Weltkonferenz Burkina Faso, um den Kirchen des Landes ihre Unterstützung zu zeigen. Seit 2015 ist das Land Opfer wiederholter Terroranschläge und Bombenanschläge. Wir blicken mit einem Interview mit Jürg Bräker auf die Reise zurück.
Redaktion: Warum seid ihr nach Burkina Faso gegangen ?
Jürg Bräker: Seit 2015 leidet Burkina Faso immer wieder unter Terroranschlägen, seit vergangenem Jahr zielen die Angriffe vermehrt auch auf die Religionsgemeinschaften, Kirchen, Schulen, aber auch Moscheen. 2000 Schulen sind geschlossen, viele Kirchen mussten aus Sicherheitsgründen geschlossen werden, die Pastoren fliehen, einige wurden entführt und umgebracht. Die Hintergründe der Attacken sind nicht immer ersichtlich, meistens wurden uns Gründe genannt, dass verschiedene Gruppen versuchen, die Hoheit über einen Korridor durch die Sahara zu erlangen, um dort ungehindert Drogen von Südamerika nach Europa zu schleusen; auch Organ- und Menschenhandel spielt eine Rolle. Es git auch Gruppen, die Bokho Haram nahe stehen oder versuchen, in der Sahelzone einen Islamischen Staat aufzubauen.
Die Diakoniekommission der Mennonitischen Weltkonferenz entsendet Delegationen, um den Kirchen der Weltkonferenz in Not beizustehen und ihnen zu zeigen, dass wir als ganzer Leib mitleiden. Die Mennonitischen Gemeinden aus Burkina Faso haben um einen Solidaritäts-Besuch von einer solche Delegation gebeten. Es zeigte sich schnell, dass die Solidarität in der ganzen Bevölkerung sehr gross ist und so galt unser Besuch dem ganzen Land. Dementsprechend kamen wir auch mit den Leitern der verschiedenen Kirchen zusammen, anderen Religionsvertretern und Regierungsvertretern. Wir besuchten sie, um ihre Geschichten zu hören und bekannt zu machen, wie sie unter der gegenwärtigen Situation leiden.
Redaktion: Es war deine erster Besuch in Burkina, was hat dich beeindruckt?
Ihr seid mit einer Delegation abgereist, was hat euch am meisten ermutigt?
JB: Man hat uns immer wieder gesagt, wie viel es für sie bedeutet, dass wir das Risiko auf uns nehmen und jetzt zu ihnen kommen, in einer Zeit, in der alle Regierungen davon abraten, das Land zu besuchen und viele internationale Mitarbeitende abreisen müssen. Das war schon etwas ein seltsames Gefühl, doch wir hatten den Eindruck, dass in den Städten Bobo Dioulasso und Ouagadougou, wo wir waren, dieses Risiko nicht sehr hoch war. Anders in den Dörfern, und insgesamt leidet das Land unter der Isolierung. Besonders beeindruckt hat mich die Freundschaft und Solidarität unter den verschiedenen Religionsgruppen. Burkina hat über viele Jahrzehnte eine Kultur des friedlichen Zusammenlebens gefunden, wenn es zu Spannungen kommt, treten oft die Imame, Pastoren, Bischöfe und andere Vertreter der Religionen als Vermittler auf. In allen Gesprächen wurde von allen Seiten immer sehr deutlich gesagt, dass diese Angriffe nichts mit Religion oder Ethnien zu tun haben, es sind Terroristen, die das Volk angreifen.
Immer, wenn eine Kirche angegriffen wird, kommen die Vertreter der anderen Religionen zu ihnen und bekunden ihr Beileid, ebenso, wenn eine Moschee angegriffen wird. Sie kamen mehrmals beim Mogho Naba zusammen, dem traditionellen Kaiser des grössten Stammes der Burkinabe (Mossi) und haben dort ihre gegenseitige Solidarität ausgedrückt. Auch wir konnten an einer Feier teilnehmen, in der der Gouverneur, Sicherheitskräfte, Muslime, Katholiken und evangelische Kirche alle gemeinsam um Gebet baten, damit dieses Land wieder zum Frieden zurück findet. Diese Entschlossenheit, diese Angriffe nicht als Konflikt zwischen den Religionen, nicht als Angriffe von Muslimen auf Christen zu sehen, sondern als Angriff auf den sozialen Zusammenhalt im Land, das hat mich sehr beeindruckt und ermutigt.
Redaktion: Was können wir von den burkinischen Brüdern und Schwestern lernen?
JB: Die Art und Weise, wie die verschiedenen Religionen eine Weg gefunden haben, in Freundschaft und gegenseitigem Respekt zusammen zu leben, ist etwas sehr wertvolles. Es würde sich lohnen, das im Rahmen von Friedensforschung zu studieren. Kirchen evangelisieren, es bestehen viele Missionen und viele der heutigen Christen sind als Muslime geboren worden. Wir haben von Geschichten gehört, wo dies auch zu Spannungen führte, etwa, wenn Studenten einer Bibelschule in einer Koranschule Bibeln verteilten oder sich der Sohn des Imam dem christlichen Glauben zuwandte. In solchen Momenten haben sich Pastoren, Imame und manchmal auch Vertreter der traditionellen Religionen mit den Konfliktparteien zusammengesetzt und nach den Konflikt gemeinsam friedlich gelöst. Die heutige Kultur der Toleranz und gegenseitigem Respekt musste immer wieder errungen werden. Von dieser Friedenskultur können wir in Europa viel lernen.
Redaktion: Wie können wir als Kirche die Kirchen in Burkina Faso praktisch unterstützen? Gibt es eine Erwartung ihrerseits?
JB: Die Versorgung der 850’000 Menschen, die ihre Dörfer verlassen haben und im Land auf der Flucht sind, ist natürlich auch für die Kirchen eine grosse Herausforderung. In kleineren Orten gelingt es noch, sie in die bestehenden landwirtschaftlichen Projekte zu integrieren, aber das kommt bald an die Grenze. Es kommt dazu, dass durch den Klimawandel es unvorhersehbar geworden ist, wann es regnen wird, und so kam es immer wieder auch zu Ernteausfällen. Hier wird es viel Hilfe über die grossen Hilfswerke brauchen. Durch die Massnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus hat sich das alles noch drastisch verschärft, die Märkte sind geschlossen, die meisten Leute dürfen ihre Stadt oder ihr Dorf nicht verlassen. „Der Hunger ist die Kraft des Terrors“ wurde uns manchmal gesagt. Aber wo immer wir gefragt haben, was wir tun können, war die Antwort: Betet für uns! Für die Burkinabe ist das eine praktische Tat. Der Terrorismus droht, das zu zersetzen, was diese Land ausmacht, den inneren Zusammenhalt über vieles hinweg, das trennen könnte. “Diese Angriffe können nicht mit Waffen besiegt werden, da braucht es die Kraft Gottes, der Herzen wendet“ wurde uns immer wieder gesagt, auch von Regierungsvertetern und Militärkräften, auch der Mogho Naba, bei dem wir eine Audienz bekamen, bat uns um Gebet für sein Volk.
Redaktion: Wie können wir für Burkina Faso beten?
JB: Als erstes denke ich an Schutz für die Personen, auf welche die Anschläge zielen. Es braucht viel Mut, sich jetzt als Pastor ausbilden zu lassen, an vielen Orten riskieren sie ihr Leben, weil die Anschläge gezielt auf die Leiter der Kirchen gehen. An manchen Orten reicht es, dass man den Terrorismus mit Namen nennt, um Ziel von Angriffen zu werden. Darum sollten wir für den Mut beten, sich nicht von der Furcht lähmen zu lassen. Die Gefahr ist gross, dass man jeder unbekannten Person misstraut, in ihr einen Spion befürchtet. Viele haben das als ihre grösste Sorge genannt: Dass das Misstrauen um sich greift und der Zusammenhalt in der Bevölkerung zerstört wird. Wir bitten um Weisheit für die verschiedenen Leitungspersonen, dass sie weiterhin Wege finden, ihre Kultur der Loyalität und gegenseitigen Beistandes zu stärken und zu bewahren. Und wir bitten um einen Wandel in der Gesinnung jener, die Anschläge verüben. Oft sind es junge Männer, die keine Arbeit haben und hungern, die sich für terroristische Aktivitäten rekrutieren lassen. Die geschlossenen Schulen und mangelnde Ausbildung wird diese Situation noch verschärfen. So braucht es beides: die Stärkung des inneren Widerstandes, dass sie sich nicht in terroristische Gruppen hinein ziehen lassen, aber auch den langfristigen Aufbau des Landes in wirtschaftlicher Hinsicht.