Begegnungen auf Konferenzen haben Daniel Geiser stark geprägt. So auch an der 17. Weltversammlung der Mennonitische Weltkonferenz anfangs Juli in Indonesien. Daniel Geiser hat mit einer Reisegruppe daran teilgenommen und mit dieser vor und nach der Versammlung das Land erkundet.
«Alles wirkliche Leben ist Begegnung.» Diese Aussage stammt vom jüdischen Philosophen, Martin Buber, aus seinem Werk «Ich und Du». Wer Begegnungen erlebt, kann manches erzählen, frei nach Matthias Claudius. Die vielen Begegnungen auf Reisen, auf Konferenzen, mit Menschen anderer Kulturen, Religionen haben mein Verständnis, meine Sichtweise stark geprägt, mein Horizont immens erweitert, ja, mein Leben verändert. Das gilt auch für die Begegnungen vor, während und nach der Weltversammlung der Mennonitischen Weltkonferenz (MWK) in Indonesien. Ich war mit einer Gruppe von neun Personen aus der Schweiz und Frankreich unterwegs. Unsere Reise war sehr gut vorbereitet von «Joie et Vie», der mennonitischen Organisation aus Frankreich, die unter anderem Ferienwochen, Reisen und andere kulturelle und sozialpädagogische Aktivitäten anbietet. Nebst der Teilnahme an der Weltversammlung vom 5. bis 10. Juli gab es für unsere Gruppe ein Vor- und Nachprogramm.
Erlebnisreiches Programm vor der Weltversammlung
Nach fast 14 Stunden Flug mit Zwischenlandung in Singapur kamen wir bei tropischer Wärme auf Bali, der Insel der Götter, an. Unsere erste Begegnung war mit dem muslimischen Busfahrer, der uns ins Hotel an der balinesischen Westküste fuhr. Während der zweieinhalbstündigen Fahrt interessierte sich der gesprächige Mann für unseren Aufenthalt in Indonesien. Nachdem wir ihm berichteten, dass wir unterwegs zu einer internationalen Konferenz der Mennoniten seien, wurde er sehr neugierig und wollte mehr über Mennoniten hören. Er hatte schon von Täufern gehört und wusste, dass sie sich für gutes, freundschaftliches Zusammenleben und Frieden einsetzen. Auf Bali erlebten wir insgesamteine erholsame Zeit in einer traumhaften Umgebung. Auf dem Programm: Schwimmen im Meer, eine fast dreistündige Fahrradtour durch bezaubernde Wälder, Reisfelder, Kaffeeplantagen und Mangoplantagen und den Besuch einer Schildkröten-Schutzstation in Serangan.
Am 1. Juli flogen wir von Bali weiter nach Yogiakarta in Java und fuhren dann mit dem Bus nach Surakarta, wo wir kurz vor Mitternacht im Hotel ankamen. Unterwegs besuchten wir den buddhistischen Tempel in Borobudur – den grössten der Welt, obwohl kaum Buddhisten in der Umgebung leben. Am nächsten Morgen wurden wir im Hotel herzlich begrüsst von drei Geschwistern der Mennonitengemeinde «Gereja Kristen Muria Indonesia» (GKMI). Sie begleiteten uns während nächsten zwei Tagen durch ein reichhaltiges Programm. Am ersten Tag besuchten das Museum des Kulturerbes und eine Batik-Werkstatt. Dieses Kunsthandwerk gehört zur indonesischen Kultur und die Stadt Solo ist weit über Indonesien bekannt als die Stadt der Batik. Am Abend fand eine interreligiöse Zusammenkunft auf dem Gelände eines Konfuzius Tempels statt. Vertreterinnen und Vertreter von mehreren Religionen erzählten uns dabei von ihrem gemeinsamen Wirken für das Wohl und den Frieden der Menschen in ihrer Umgebung. Der Initiator der langjährigen Zusammenarbeit ist Paulus Hartono, ein mennonitischer Pastor. Am nächsten Tag nahmen wir in der Ortskirche der GKMI in Solo am Gottesdienst teil. Weil wir uns vorstellten und Grussworte überbrachten, waren wir in den Gottesdienst mit einbezogen. Am Nachmittag besuchten wir dann den Hindutempel Prambanan und ein gut erhaltenes Gebäude aus der niederländischen Kolonialzeit. Prambanan ist der grösste Hindutempel in Indonesien.
Kostbare Begegnungen mit Mennonitinnen und Mennoniten aus 44 Ländern
Nach diesem erlebnisreichen Vorprogramm stand schliesslich die Weltversammlung der MWK auf dem Programm. Die Morgen- und Abendversammlungen fanden auf einem Berghang in einer offenen Halle des mennonitischen Seminars Sekolah Tinggi Theologi Sangkakala statt, der Abschiedsgottesdienst am Sonntag im Holy Stadium in Semarang. Besucht wurde die Versammlung von etwas mehr als 1000 Mennonitinnen und Mennoniten aus 44 Ländern. Fast 800 Personen verfolgten die Versammlung via Livestream von Zuhause aus.
Wie bereits erwähnt, sind für mich an solchen Anlässen die persönlichen Begegnungen sehr wertvoll, eine nicht zu ermessende Bereicherung und ein bleibender Schatz. Die Weltversammlung war für mich Gelegenheit, langjährige Freundinnen und Freunde zu treffen, mit ihnen über persönliche Erlebnisse, Erfahrungen in ihren Gemeinden, in ihrem Land, über ein gehörtes Thema oder einen Workshop und auch über die Weltsituation auszutauschen. Zum Beispiel Freunde aus der Demokratischen Republik Kongo, aus Burkina Faso oder aus den USA, mit denen ich 2019 in der Demokratischen Republik Kongo die vielen Flüchtlinge besuchte. Gespräche im Bus, während einer Mahlzeit, vor und nach den Veranstaltungen wurden so zu kostbaren und unvergesslichen Momenten und sie öffneten auch neue Möglichkeiten: Zum Beispiel als ich mit einer indonesischen Theologiestudentin sprach, die nach dem Abschluss ihres Studiums in Indonesien gerne in Europa weiterstudieren möchte. Ich konnte sie später mit mennonitischen Theologen Fernando Enns, der an den Universitäten Hamburg und Amsterdam lehrt, in Verbindung setzen.
Zwei besonders erwähnenswerte Vorträge
Natürlich waren auch der gemeinsame, verbindende Gesang wertvoll sowie die verschiedenen Vorträge. Zwei davon fand ich besonders erwähnenswert: Jener von Salomé Haldemann aus Frankreich und jener von Pastor Jeremiah Choi aus Hongkong.
Salomé ging in ihrem Vortrag direkt auf den Krieg in der Ukraine ein. Als Friedenskirche würden wir die Gewaltlosigkeit bejahen, berichtete sie. Aber jetzt angesichts des Krieges hielten viele gewaltlosen Widerstand für naiv und unrealistisch. Plötzlich sei unser Glauben und Sprechen von Gewaltlosigkeit, Feindesliebe und Friedensengagement zusammengebrochen, obsolet. «Ist unsere täuferische Friedenstheologie nur für bequeme Zeiten, sogenannte kriegsfreie Zeiten?», fragte Salomé. Sie erinnerte daran, dass der US-Bürgerrechtsführer Vincent Harding 1967 an der Weltversammlung der MWK in Amsterdam die Mennoniten aufrief, sich im Freiheitskampf an die Seite der schwarzen Schwestern und Brüder zu stellen. Sie erinnerte ebenso an den amerikanischen Schriftsteller und Theologe, Ron Sider, der an der Weltversammlung der MWK 1984 in Straßburg die Gründung einer gewaltfreien Friedenstruppe von 100’000 Personen angeregt hatte. Ein Aufruf, der zur Gründung der Community Peacemaker Teams führte. Salomé selbst regte in ihrem Vortrag die Mennonitinnen und Mennoniten zu einem antimilitärischen Dienst an, einer Trainingsschulung für gewaltlosen Widerstand gegen Gewalt und den Krieg: «Ist es nicht an der Zeit für uns, eine allgemeine Ausbildung zu schaffen, damit Gemeindemitglieder und friedensorientierte Menschen die Grundlagen des zivilen Widerstands lernen und üben können?»
Jeremiah berichtete von der schwierigen Situation in Hongkong. Die pro-chinesische Regierung gehe erbarmungslos gegen jegliche gewaltlosen und freiheitsliebenden Bürgerinnen und Bürger vor. Mit brutaler Gewalt würden Demonstrationen niedergeschlagen. Die Gefängnisse seien voll von Unschuldigen. Viele Menschen würden Honkong verlassen, vorwiegend nach Großbritannien. Aus der Agape Mennonitengemeinde in der Jeremiah Pastor ist, hätten schon zehn Prozent der Gemeindeglieder Hongkong verlassen. Dies schmerze ihn tief, auch wenn er Verständnis habe, für die Suche nach Freiheit. Jeremiah selbst ist entschlossen, Hongkong nicht zu verlassen. Er sagte: «Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung. Wie können wir im täglichen Leben Frieden stiften, in einer Umgebung, in der die Regierenden nur Gewalt kennen? In dieser unvorhersehbaren Zukunft sind wir gerufen, auf Gott zu schauen, ihm zu vertrauen und unsere Berufung als Christen zu leben».
Feierlicher Abschluss im Holy Stadium in Semarang
Am feierlichen Abschluss Gottesdienst am Sonntag in Semarang, nahm der Regierungschef von Zentral-Java, H. Ganiar Pranowo, in seinem Grusswort Bezug auf die Geschichte und das Friedenszeugnis der Täufer. Er erwähnte die Überlieferung aus dem 16. Jahrhundert, in der Dirk Willems auf der Flucht einen seiner Verfolger von ihnen vor dem Ertrinken rettet. Dies sei ein aussergewöhnliches Beispiel. Zum Krieg in der Ukraine berichtete er, wie der Präsident von Indonesien, Joko Widodo, versucht habe zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln, damit der Krieg ende. Er hielt fest: «Was auch immer die Ursache für einen Krieg sein mag, er kann niemals gerechtfertigt werden.»
Zum Abschluss durften wir nochmals indonesische Musik und Gesang geniessen sowie einen Auftritt, von Kindern, mit Liedern, welche diese während der Konferenz gelernt hatten. Diesen Auftritt kündigte der Gottesdienstleiter mit einem Satz an, der mich berührte: «Jetzt erwarten wir auf der Bühne die wichtigsten Personen nach Jesus.» Schliesslich lud der neue Präsident der MWK, Henk Stenvers aus den Niederlande, zur nächsten Weltversammlung ein: «Wir hoffen, die Entstehung des Täufertums in Zürich 2025 zukunftsorientiert zu gedenken und lud ein zur nächsten MWK, 2028, in Äthiopien».
Nach der Weltversammlung auf die Interfaith Tour
Im Anschluss an die Weltversammlung nahm unsere Gruppe an der der gut organisierten Interfaith Tour (Interreligiöse Rundreise) teil. Diese wurde von der MWK im Anschluss an die Weltversammlung angeboten. Am ersten Tag besuchten wir ein sunnitisch-islamisches Internat, ein sogenanntes Pondok Pesantren. In den meisten Pesantren wird ein toleranter Islam gelehrt und praktiziert: Betont werden Grundwerte wie Aufrichtigkeit, Einfachheit, individuelle Autonomie, Solidarität, Selbstbeherrschung, Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir wurden mit Musik, Tee und Früchten empfangen. Zwei Frauen stellten uns die Schule vor und beantworteten unsere Fragen. Für beide bestand kein Zweifel, dass Verse im Koran die Gleichberechtigung begründen. Eine der Frauen kam gerade aus der Schweiz zurück, wo sie an einer Interreligiösen Tagung vom Ökumenischen Rat der Kirchen teilgenommen hatte.
Am Nachmittag besichtigten wir einem Dharma-Loka-Hindutempel in Plajan. Nicht weit entfernt besuchten wir anschliessend eine kleine GKMI-Kirche, gleich neben einer Moschee und einem buddhistischen Tempel. Auch hier leben die Menschen der vier Religionen friedlich zusammen. Die Fahrt ging dann weiter ins Dorf Tanjung wo wir einen buddhistischen Tempel besuchten. Dort wurden wir von etwa 30 Männer und 70 Frauen in blauen Kleidern empfangen. Sie waren extra angereist, um uns mit Gesang zu begrüssen. Der Gesang und die Kleidung tragen die Frauen bei festlichen Anlässen. Ein Teilnehmer unserer Gruppe schlug vor, die Begegnung mit einem Segensgebet zu beenden, was mit sichtlicher Freude und Applaus aufgenommen wurde. Bevor wir den Ort verliessen, sangen wir ihnen «Je louerai l’Eternel».
Das Erleben und die Begegnung am letzten Tag waren nicht weniger bewegend, eindrücklich und unvergesslich. Wir fuhren durch eine wunderbar grüne Landschaft, sehr viele Reisfelder, in das höchste Dorf Tempur auf dem Muria Gebirge. Begrüsst wurden wir dort vom mulimischen Bürgermeister und dem Pastor der dortigen Mennonitengemeinde, deren Kirche sich direkt gegenüber der Moschee befindet. 1984 bekannte sich eine Frau zum christlichen Glauben und es folgten andere, so auch ihr Mann, welcher der Bruder des Verwalters der Moschee ist. Von Beginn an lebten die grosse muslimische Mehrheit und die christliche, täuferische Minderheit in friedlicher Koexistenz. Beim Bau der Kirche der Mennonit:innen halfen die Musliminnen und Muslime mit und bei der Renovierung der Moschee die Mennonitinnen und Mennoniten. Unser Besuch und auch die der Interfaith Tour endete in Tempur mit einer besonderen Mahlzeit: Uns wurde ein Reisgericht serviert, das auf vier Ebenen präsentiert wird und für die Universalität steht. Auf diese Weise soll die Dankbarkeit an Gott zum Ausdruck gebracht werden.
Was ich behalte
- Die Grosszügigkeit unserer indonesischen Schwestern und Brüder, die wir in so vielfältiger Weise erfahren durften.
- Das langjährige bewusste Engagement und Zeugnis für den Frieden. Pastor Paulus Hartono sagte beispielsweise, Feindesliebe gilt es im Alltag zu leben, auch radikalen Muslimen gegenüber. (Darüber hat er ein Buch geschrieben: The Radical Muslim and Mennonite – A Muslim-Christian encounter for Peace in Indonesia.)
- Wir Mennoniten aus dem wohlhabenden Norden können (müssen) viel von unseren Geschwistern im Süden lernen, in Bezug auf Spiritualität, im Teilen und im Miteinanderleben mit Menschen anderer Religionen.
- Die grosse Akzeptanz und Toleranz, die unsere Geschwister Menschen anderer Religionen gegenüber leben, ganz bewusst aus ihrer Christus-Glaubensüberzeugung und der Nachlogen Jesu.
- Begegnungen sind lebenswichtig, stärken das Vertrauen in Gott und Menschen und erweitert den Horizont, auch im 84. Lebensjahr.
Text:
Daniel Geiser-Oppliger